Tradition, die verpflichtet!
100 Jahre Volkshilfe Celle eG
12.12.2023
1923 ist für sehr viele Menschen alles andere als ein einfaches Jahr, und das gilt auch in Celle. Das Ende des Ersten Weltkrieges liegt gerade mal fünf Jahre zurück, seine Auswirkungen sind in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens spürbar. Wirkliche Not herrscht beispielsweise auf dem Wohnungsmarkt – ein idealer Zeitpunkt also, eine Wohnungsbaugenossenschaft ins Leben zu rufen. Vor 100 Jahren fiel der Startschuss für die Volkshilfe Celle eG.
Die Idee und Initiative gehen zurück auf den Celler Kaufmann und konservativem Politiker Wilhelm Jäger. Er startet einen Aufruf in der lokalen Presse und bittet Bürgerinnen und Bürger, die im Besitz unbelasteter Grundstücke sind, diese mit einer Hypothek zu belasten und den Betrag einer Gesellschaft zur Verfügung zu stellen, die sich dem systematischen Wohnungsbau widmen wird. Im Gegenzug erhalten die Mitmachenden Anteile an dieser Gesellschaft. Auch Menschen ohne Grundbesitz sind als Mitglieder willkommen – und mit 50 Goldmark mit von der Partie.
Am 4. November 1923 kommt es in Celle im Hotel Hannover zur offiziellen Gründung der sogenannten „Vollkshilfegesellschaft“, die im juristischen Sinn genossenschaftlich organisiert ist. Zum ersten Vorstand zählt neben Wilhelm Jäger ein mit ihm persönlich befreundeter Architekt, der sich als echter Glücksfall für Celle erweisen wird: Otto Haesler (1880-1952) hatte sich 1906 hier niedergelassen und sich mit privaten und gewerblichen Bauten einen Namen gemacht, die noch recht herkömmlicher Formsprache verschrieben waren. Mit Gründung der Volkshilfe wird er architektonisches Neuland betreten und sich zu einem der Pioniere des Neuen Bauens entwickeln, der heute in einer Reihe mit Legenden wie Walter Gropius genannt werden kann.
Haesler denkt für die Volkshilfe nicht mehr in Einzelbauten, sondern in Siedlungen. Erklärtes Ziel der Genossenschaft ist es schließlich, möglichst viel neuen Wohnraum zu kostengünstigen Konditionen zu schaffen und Mieterinnen und Mietern anbieten zu können, deren finanzielle Lage angespannt ist. Vordringliches Problem in Celle ist das Angebot von Kleinwohnungen, die unter anderem von heimkehrenden Soldaten und einer wachsenden Zahl von Jungfamilien beansprucht werden und echte Mangelware sind.
Wie sich Haesler das Wohnen der Zeit vorstellt, zeigt er gleich mit der ersten Siedlung, die die Volkshilfe Celle im Italienischen Garten zwischen 1924 und 1926 realisiert. Hier werden zwei Torbauten in der Wehlstraße errichtet, denen sich insgesamt acht Vierfamilienhäuser anschließen. Dass hier baugeschichtlich Neues entsteht, ist auf den ersten Blick zu sehen: Die Baukörper bestehen aus ineinander geschobenen Kuben, die streng geometrische Formsprache wird verstärkt durch auffällige Glasflächen, die an den äußeren Kuben sogar übereck gehen, und eine kräftige Farbgestaltung, in der die Fassaden der äußeren Kuben abwechselnd Rot und Blau präsentieren und durch das neutrale Grau des mittleren Kubus verbunden sind. Die Wohnungen selbst sind eher repräsentativ ausgefallen. Sie verfügen über vier bis sechs Zimmer, die über einen eleganten Mittelflur erreicht werden. So begeistert die Wohnanlage vom nationalen Fachpublikum aufgenommen wurde, so sehr wurde genau diese Repräsentativität zu einem Kritikpunkt der lokalen Resonanz. Denn die Mietpreise, die hier aufgerufen werden mussten, richteten sich dann doch nicht an die Armen und Ärmsten, wie es ursprünglich angedacht war.
Mit der zweiten Siedlung kamen Haesler und die Volkshilfe dann diesem Ziel deutlich näher. Die Siedlung Georgsgarten war in Planung und Umsetzung voll und ganz auf Kostengünstigkeit ausgerichtet und machte ihren Architekten endgültig zu einer landesweiten Berühmtheit. Begeistert wurde von Fachleuten in ganz Deutschland die besondere Kombination aus günstigem Wohnraum, technischer Ausstattung und sozialem Angebot aufgenommen. Sie lässt sich gut erklären, wenn man den Lageplan in den Blick nimmt: Die Wohnungen sind in sechs Reihenhäusern von 80 Metern Länge und 10 Metern Tiefe untergebracht. Zur Straße hin sind sie durch eine eingeschossige Bebauung getrennt, in der Läden, eine Bücherei und ein Café zu finden waren. In den „Wohnstraßen“ zwischen den Häusern entstand so eine sogenannte siedlungsprivate Fläche, da sie ausschließlich dem Zugang zu den Wohnungen dienten. Ein zentrales Wasch- und Badehaus entpuppte sich schnell als beliebter Treffpunkt. Auch an die Versorgung der Bewohnenden wurde gedacht, denn jeder Wohneinheit stand ein eigener Nutzgarten zur Verfügung.
Die Geschichte der Volkshilfe Celle eG nahm also einen fulminanten Anfang und schuf eine Tradition, der man bis heute verpflichtet ist. Denn auch wenn sich in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg der Wohnungsbestand noch mal deutlich vergrößerte, zählt es bis heute zu den Kernaufgaben der Genossenschaft, sich um ihre historischen Juwelen zu kümmern.
Und genau das tut sie mit einem ungebrochen frischen Elan, dem man die 100 Jahre, die sie nun auf dem Buckel hat, in keiner Weise ansieht. Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum!
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